Deutscher Gewerkschaftsbund

14.08.2023

Interview mit David Riotte, ver.di

David Riotte

Mitglied bei ver.di, 

Mitarbeit in der Initiative „Kein Vergessen“ Koblenz,

für die DGB-Jugend neu zum Vorsitzenden des Stadtjugendrings Koblenz gewählt,

arbeitet als Jugendbildungsreferent beim Bezirksjugendwerk AWO Rheinland.

Ausbildung: Sozialpädagoge

David Riotte

Veranstaltung der Initiative "Kein Vergessen" 2022 M.Gerlach

David, du bist jetzt neugewählter Vorsitzender im Stadtjugendring Koblenz. Was hat dich dazu bewogen, für die DGB-Jugend zu kandidieren?

Es ist mir wichtig, für Kinder und Jugendliche Lobbyarbeit zu machen, das heißt ihre Interessen in politischen Zusammenhängen zu vertreten. Ich bin seit über zehn Jahren in Jugendverbänden aktiv und finde eine überparteiliche Interessensvertretung ganz wichtig. Deshalb engagiere ich mich. Ich werde mit 30 Jahren aus meiner Sicht langsam zu alt für die Vorstände in den Jugendverbänden selbst, das ist eine Aufgabe für die unter 30-Jährigen, sie sind einfach näher dran. Die Arbeit in den übergeordneten Gremien der Jugendarbeit wie zum Beispiel dem Stadtjugendring möchte ich noch machen. Im jetzigen Gremium bin ich einer der jüngsten.

Als Ehrenamtlicher habe ich viel Freiheit, für meine inhaltlichen Positionen einzutreten und sie zu äußern.

Die Wahl war jetzt im Juli. Die konstituierende Sitzung steht noch an und ich bin wirklich neugierig, was Heike Nick und ich an der Spitze des Stadtjugendrings bewegen können.

 

Gibt es ein konkretes Vorhaben von dir?

Ich möchte für eine größere Sichtbarkeit der Jugendverbände in der Stadt sorgen. Das könnten gemeinsame Aktionen aller Jugendvertretungen sein wie zum Beispiel mit dem Jugendrat in Koblenz. Das könnten Veranstaltungen anlässlich der Kommunalwahl in 2024 sein, zum Beispiel eine Podiumsdiskussion.

Diese findet natürlich ohne die AfD statt. Da ist der Landesjugendring sehr klar in seiner Beschlusslage und mich ärgert immer wieder das Missverständnis über den Begriff „unparteilich“. Unparteilich meint, dass ich als Organisation parteiunabhängig arbeite, das heißt, nicht im Interesse EINER Partei, aber ich darf doch auswählen, WEN ich einlade. Dieses Recht wird durch den Begriff „unparteilich“ nicht eingeschränkt. Und der Landesjugendring ist klar: wir laden die AfD nicht ein. Dann machen wir das in Koblenz auch nicht. Das vielleicht als kleinen Exkurs.

Darüber hinaus ist es mir ein Anliegen, dass wir Mitglieder im Stadtjugendring untereinander mehr Kontakt haben als nur bei der jährlichen Vollversammlung.

Nach der Pandemie ist es nun möglich, auch das Projekt vom Stadtjugendring „Koblenz spielt“ zusammen mit der Stadt Koblenz wieder zu beleben und auszubauen. Das ist ein Anliegen meiner Kollegin Heike Nick, vom Jugend Rotkreuz, die mit mir zusammen zur Vorsitzenden gewählt wurde. Traditionell gibt es an der Spitze des Stadtjugendrings ein Tandem bestehend aus Mann und Frau.

 

Kannst du etwas zu dem Hintergrund deines Engagements sagen?

Auch wenn das ein bisschen pathetisch klingt, ich habe den Wunsch nach einer besseren Gesellschaft. Ich möchte nicht, dass wir über einen Mindestlohn streiten und wie hoch der sein darf. Ich will am anderen Ende ansetzen: wie sieht es aus mit einer Begrenzung von Höchstlöhnen? Warum gibt es eine Diskussion über Mindeststandards und nicht eine über die Begrenzung des Reichtums? Insbesondere die besitzende Klasse muss sich der Diskussion um Verzicht stellen, wenn wir eine gerechtere Gesellschaft erreichen wollen. Ich denke da auch konkret an eine Vermögenssteuer, die diesen Namen auch verdient.

Es gab bei mir nicht die eine Initialzündung. Nach der Schule wusste ich nicht so genau, was ich beruflich machen wollte. Und ich hatte die Chance durch meine Eltern, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Das machte ich nahe meines Heimatsorts in St. Wendel im Adolf-Bender-Haus. Das ist ein Demokratiebildungszentrum und es ist benannt nach Adolf Bender, der als Maler im KZ war.

Da kam ich in Berührung mit außerschulischer Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche, mit Gedenkarbeit, sprach mit Überlebenden des Holocausts unter anderem mit einem Cousin von Anne Frank und durch diese wichtigen Erfahrungen wurde mir klar, dass ich mit Kindern und Jugendlichen politisch arbeiten möchte.

Folgerichtig studierte ich hier in Koblenz Sozialpädagogik und engagierte mich bei dem Jugendverband „Sozialistische Jugend Deutschlands Die Falken“ sowie bei der Gewerkschaftsjugend.

 

Gruppe

David Riotte (ganz links) beim Jahresabschluss der DGB-Jugend auf dem Koblenzer Weihnachtsmarkt 2022. DGB

Gibt es ein paar Beispiele aus deinem gewerkschaftlichen Engagement, die dir nachhaltig in Erinnerung bleiben?

Da ist zunächst einmal die Zeit, wo ich als Studierender einen Job bei der Workers Beer Company hatte. Die WBC ist eine gemeinnützige GmbH, deren Gewinne in Organisationen, Vereine und Gruppen fließt, die aus der Arbeiter- und Solidaritätsbewegung stammen.

Das war 2015 und wir unterstützten bei den diversen Streiks von ver.di. Da habe ich viel gelernt über die interne Arbeit in einer Gewerkschaft und auch was die Organisation von Streiks angeht. Das war eine spannende und aufregende Zeit.

Dann gab es 2017 den großen Protest in Koblenz gegen den Kongress der Europäischen Rechten in der Rhein-Mosel-Halle. Da waren über 5000 Menschen bei unserer Demo. Damit war es die größte Demo in Koblenz seit Jahrzehnten. Ich habe zusammen mit Mara von der IG Metall auf der Bühne gestanden und eine Rede gegen den Rechtsruck in Europa gehalten.

Bühne

David Riotte auf der Bühne am Mikrofon bei der Veranstaltung gegen die Versammlung der Europäischen Rechten in Koblenz, Januar 2017. Mehr als 5000 Menschen demonstrierten gegen den Kongress in der Rhein-Mosel-Halle. DGB

David

Die Gegendemonstration mit Kundgebung hatte das Motto "Koblenz bleibt bunt! - Kein Platz für Populismus und Rechtsextremismus". David Riotte auf der Bühne mit buntem Konfetti. DGB

 

Ja, und 2019 waren wir auf einem Gegenprotest organisiert gegen das Naziprojekt „Tag der deutschen Zukunft“ in Chemnitz.

Ich bin auch jährlich beim Gegenprotest gegen den Naziaufmarsch in Remagen dabei und hier zeigte sich nach zehn Jahren, dass die Zivilgesellschaft mit ihrem breiten Protest die Nazis vertrieben hat. 2022 fand kein Aufmarsch in Remagen statt.

 

Für das Jugendwerk der AWO organisierst du Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche. Gibt es etwas, dass auch für Gewerkschafter*innen interessant sein könnte?

Die AWO und das Jugendwerk kommen ja aus der Arbeiter*innenbewegung. Kinder und Jugendliche können dort demokratische Organisationsformen kennenlernen.

Das vielfältige Programm in den Ferien kann auch für Gewerkschafter*innen interessant sein: wir bieten sie zum Selbstkostenpreis an. Unsere Devise ist: „Jedes Kind soll mitkommen können!“ - unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Bei uns bekommen die Teamer*innen, die die Freizeit begleiten, nur eine kleine Aufwandsentschädigung. Und öffentliche Zuschüsse machen niedrige Preise ebenfalls möglich. Das wird natürlich schwieriger, wenn Finanzminister Lindner jetzt im Herbst seine Kürzungen im Kinder- und Jugendplan durchbekommt.

Außerdem fragen wir zum Beispiel beim DM-Markt an, ob sie uns die Sonnencreme sponsern, oder beim ortsansässigen Lebensmittelmarkt, ob wir bei den Mengen, die wir in den nächsten zwei Wochen brauchen, noch einen Sonderrabatt bekommen. Wir sind da kreativ, um die Kosten wirklich niedrig zu halten.

 

Du engagierst dich auch bei der Initiative „Kein Vergessen“. Kannst du dazu einige Sätze sagen?

Inhaltlich geht es bei Initiative darum, dass der Mord an dem Koblenzer Obdachlosen Frank Bönisch 1992 als politisch motivierter Mord von rechts eingestuft wird. Die Initiative setzt sich dafür seit über zehn Jahren ein. Wir waren im Gespräch mit dem Innenminister Roger Lewentz, der zurückgetreten ist. Dadurch ist der Faden jetzt abgerissen.

Es ist frustrierend zu erleben, wie rechte Gewalt und Terror immer noch weggeschoben werden. Und es ist entmutigend zu sehen, dass es keinen Fortschritt gibt. Was ist so schwer daran, diesen Mord endlich entsprechend anzukennen und in die Statistiken aufzunehmen?

Wir werden auch dieses Jahr das Erinnern daran wachhalten. Es wird eine Veranstaltung am 24. August auf dem Zentralplatz geben, wo es seit einigen Jahren wenigstens eine Gedenkplatte auf unsere Initiative hin gibt.

Insgesamt ist es aber frustrierend, keinen Fortschritt zu sehen.

Es ist schon erschreckend festzustellen, dass die Rechten immer offener agieren können. Das war vor zehn Jahren meiner Meinung nach noch anders. Ein Beispiel dafür ist gerade aktuell die Revolte Rheinland.

Aus meiner Sicht ist in den letzten 30 Jahren viel versäumt worden.  Es braucht eine klare Benennung und Einordnung dessen, was im rechten Spektrum passiert.

Was auch frustrierend ist, sind die ganzen Projekte, die mit ihrer Arbeit gegen Rechts immer wieder für ein, zwei oder vielleicht auch drei Jahr gefördert werden. Hier braucht es eine Regelförderung, das heißt eine Verstetigung. Sie brächte Planungssicherheit und verhinderte auch, dass Fachkräfte abwandern und sich irgendwo verständlicherweise eine unbefristete Stelle suchen.

Was fehlt, ist ein klares politisches Bekenntnis für die Arbeit gegen Rechts, das sich auch in den Haushalten und Etats der entsprechenden Ministerien auf Landes- und Bundesebene langfristig wiederfindet.

 

Wie sieht die Gesellschaft aus, für die du dich einsetzt?

Einige Aspekte sind schon angesprochen. Ich will eine bessere Gesellschaft, eine, die auch bereit ist zum Verzicht.

Soziale Gerechtigkeit ist mir ein Anliegen: eine Gesellschaft, in der es eine Chancengleichheit für alle gibt.

Ich konnte ein FSJ machen und auch mein Studium verlängern, weil meine Eltern es sich leisten konnten. Das können viele nicht. Und das ist ungerecht. Nicht das Elternhaus darf für Kinder und Jugendliche die Chancen festlegen und begrenzen.

Auch die Frage nach einem unbegrenzten Wachsen der Wirtschaft muss anders beantwortet werden: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen, nicht der Gewinn oder dessen Maximierung.

Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit gehören zusammen. Die Transformation zu einer klimagerechten Gesellschaft sollte zeitgleich mit einer Transformation zu einer gerechteren Gesellschaft passieren. Es geht nur solidarisch.

 

Was brauchst du, um deine Lust am politischen Engagement nicht zu verlieren?

Die Zugehörigkeit zu einer Organisation. Das stärkt mir den Rücken. Und es geht dann nicht nur um mein persönliches Süppchen, sondern wir handeln miteinander Kompromisse aus, die tragfähig sind.

Außerdem brauche ich Freunde und Freundinnen, mit denen ich gemeinsam etwas bewegen kann. Die Gemeinschaft ist wichtig.

 

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Vielleicht nicht mehr in der Jugendarbeit, aber sicher in der Verbandsarbeit, die überparteilich und konfessionsunabhängig Interessensvertretung macht und so die Zivilgesellschaft stärkt.

 

Danke dir, David, für das Gespräch und alles Gute für dein weiteres politisches Engagement und darüber hinaus.

 

Das Gespräch führte Edith Sauerbier, DGB Koblenz.

 

 

 

 


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